Die Bedeutung von persönlichem Freiraum bei der Betreuung eines geliebten Menschen
Unbekannt, alter: 61
Um wen kümmern Sie sich? Seit wann?
Ich kümmere mich um meine Frau, bei der vor einem Jahr eine Demenzerkrankung diagnostiziert wurde. Sie war damals 59 Jahre alt, gehört also zu den jüngeren Menschen mit Demenz.
Erzählen Sie ein wenig von sich: Wie sieht Ihr Tagesablauf aus, wie lässt sich Ihre Pflegetätigkeit mit Ihren anderen Lebensaktivitäten, wie Arbeit, Familie und Ihren Hobbys vereinbaren?
Ich bin noch berufstätig und habe noch fünf Jahre bis zum Ruhestand, obwohl ich in zwei Jahren in die passive Phase der Altersteilzeit eintreten werde. Ich betrachte das als großes Glück, denn dann habe ich mehr Zeit, mich um meine Frau und andere tägliche Aufgaben zu kümmern.
Ich stehe morgens sehr früh auf und die Pflege beginnt sofort. Das bedeutet, dass ich die Medikamente meiner Frau für den Tag vorbereite, bevor ich zur Arbeit gehe. Wenn ich alles für sie vorbereite, kommt meine Frau den ganzen Tag über weitgehend allein zurecht. Wenn es Probleme gibt, zum Beispiel wenn sie ihre Tabletten verschüttet, ruft sie mich auf der Arbeit an. Das funktioniert sehr gut. Ich rufe sie auch an, um sie an ihre Therapietermine zu erinnern. Während meines Arbeitstages sind wir viel in Kontakt.
Zum Glück habe ich einen verständnisvollen Chef und einen Job, der das zulässt. Nach der Arbeit, auf dem Heimweg, beginne ich, den Rest des Tages zu planen. Was muss erledigt werden? Muss ich einkaufen gehen? Zu Hause muss ich die Mahlzeiten zubereiten, weil meine Frau den Herd nicht mehr bedienen kann. Obwohl sie immer mehr Probleme mit allen elektrischen Geräten hat, ist es für meine Frau sehr wichtig, weiterhin im Haushalt mitzuhelfen. Sie benutzt einfach den Besen statt des Staubsaugers.
Allerdings muss ich hinterher kontrollieren, ob alles funktioniert hat. Wenn etwas schief geht, können wir manchmal gemeinsam darüber lachen. Ich versuche, ruhig zu bleiben. Andererseits machen mir diese Situationen auch Angst, denn sie machen mir klar, wie schnell ihre Demenz fortschreitet. Ich versuche, sie so unabhängig wie möglich sein zu lassen, aber ich merke, dass sie immer mehr Zeit für alltägliche Aufgaben braucht. Zum Glück habe ich die Unterstützung einer sehr guten Freundin, die sich mehrmals in der Woche nachmittags um meine Frau kümmert, damit ich Dinge erledigen oder einfach Zeit für mich haben kann. Ich arbeite gerne in unserem Kleingarten.
Was sind die größten Herausforderungen, denen Sie begegnen?
Neue und unbekannte Situationen sind eine große Herausforderung, nicht nur für meine Frau, sondern auch für mich. Es macht mich nervös, wenn ich nicht weiß, wie ich mich am besten verhalten soll. Immer die gleichen Geschichten zu hören, ist auch eine Herausforderung für mich. Ich finde es schwierig, ruhig und ausgeglichen zu bleiben. Manchmal bedauere ich meine Reaktionen. Dann bin ich schnell wieder im Gedankenkarussell gefangen und frage mich, wie unsere Zukunft aussehen wird. Ich werde bald in den Ruhestand gehen, aber ich traue mich nicht, Pläne zu machen, weil alles so ungewiss ist.
Wie versuchen Sie, mit diesen Herausforderungen umzugehen?
Ich bekomme viel Hilfe und Unterstützung von der Alzheimer-Gesellschaft, meiner Selbsthilfegruppe und Seminaren. Es hilft mir auch sehr, Abstand zu gewinnen. Das schaffe ich oft auch bei der Arbeit, solange mein Handy nicht klingelt. Wenn ich mich nicht um meine Frau kümmere, nehme ich mir bewusst Zeit für mich und Dinge, die ich gerne mache. Ich fahre zum Beispiel noch regelmäßig allein in den Urlaub. Das habe ich schon vor ihrer Krankheit gerne gemacht.
Wurden Sie als pflegende:r Angehörige:r schon mal diskriminiert? Wenn ja, was empfinden Sie dabei?
Ich habe noch keine Diskriminierung erlebt. Es hilft, dass wir sehr offen mit ihrem Zustand umgehen. Das war eine gemeinsame Entscheidung. Dadurch erfahre ich in meinem Umfeld viel Verständnis und Mitgefühl. Das gibt mir die Kraft, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es gibt mir auch Sicherheit, wenn ich weiß, dass die Nachbarn über unsere Situation Bescheid wissen und ein Auge auf meine Frau haben. Ich würde jedem, der sich in einer ähnlichen Situation befindet, eine offene Kommunikation empfehlen. Das Versteckspiel führt nur dazu, dass man sich in Ausreden und Lügen verstrickt. Das raubt einem unnötig Energie.
Gibt es etwas, das Sie Menschen, die nicht in Ihrer Situation sind, mitteilen möchten?
Jedem sollte klar sein, dass es jeden treffen kann. Warten Sie nicht auf Ihren Ruhestand, nutzen Sie die Zeit davor.